Top oder Flop: Was soll mit Anglizismen in Übersetzungen geschehen?

Aus Gründen des Lesekomforts wird in diesem Artikel nicht die inklusive Sprache verwendet, der Artikel richtet sich jedoch an alle.

Anglizismen? „Why not?“

Zunächst einmal stellt sich die Frage, warum Anglizismen in vielen Sprachen wie Pilze aus dem Boden schießen. Anglizismen sind in absolut jedem Bereich und in jeder Sprache zu finden, sie werden in der Presse und im Internet verwendet und nehmen einen wichtigen Platz in unseren täglichen Gesprächen ein. Wie etwa Webinar, openspace, start-up, asap, conf call, die für „Online-Seminare“, „Großraumbüro“, „junges bzw. neu gegründetes Unternehmen“, „as soon as possible“ (so bald wie möglich), und „Telekonferenz“ stehen. Das ist nur eine unvollständige Liste von englischen Wörtern, die täglich in Unternehmen verwendet werden, und sicherlich genauso regelmäßig in Frankreich wie in Deutschland. In Frankreich kann man manchmal etwas lesen oder hören wie „tu me call asap après le webinar pour qu’on se fasse un afterwork en rooftop“ (das bedeutet „ruf mich nach dem Web-Seminar so bald wie möglich an, dann können wir nach der Arbeit zusammen etwas trinken gehen“). Oft ist es ironisch gemeint: Man macht sich lustig über Leute, die zu viele Anglizismen verwenden (meistens Personen, die in Start-ups arbeiten und die cool und trendy wirken wollen).

Es wäre zu einfach zu glauben, dass Anglizismen nur in der Arbeitswelt verwendet werden. Sie sind unter anderem im Internet, in der Modebranche, in der Computerbranche und natürlich in der sogenannten „Popkultur“ zu finden: „Film, Hit, Lyrics, Stand up, Show, Streaming, spoilern …“. Englische Lehnwörter sind überall. Aber wie ist es ihnen gelungen, sich einen solchen Weg zu bahnen, dass sie aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken sind, unabhängig von unserem sozialen Hintergrund oder unserem Alter?

Anglizismen sind in Mode, aber sie sind auch sehr praktisch und ermöglichen es oft, eine Idee in nur wenigen Buchstaben auszudrücken. Für uns Übersetzer kann das Übertragen von Anglizismen allerdings schnell zu einer kniffligen Aufgabe werden.

„No way!“: die Franzosen leisten Widerstand

Ich kann mich nicht erinnern, dass ich jemals einen Franzosen getroffen habe, der Anglizismen im Französischen befürwortet hätte, und erst recht nicht, seit ich Übersetzen studiere. Viele von ihnen waren völlig abgeneigt: Anglizismen waren im Unterricht und in unseren Übersetzungen schlichtweg verboten. Natürlich verwendet in Frankreich trotzdem fast jeder Anglizismen, viele Lehnwörter sind in die Alltagssprache eingegangen.

Dennoch muss man zugeben, dass der Trend eher zur Vermeidung geht. Aber wie sieht es in der Übersetzungsbranche aus? Sagen wir es so: Es hängt unter anderem von der Art des Textes, dem Zielpublikum und der erwarteten Wirkung ab. Insgesamt ist es laut Aussagen von Übersetzern eher üblich, alle fremdsprachlichen Elemente zu übersetzen und französische Begriffe dafür zu verwenden. Man muss aber darauf achten, dass das Ergebnis „französisch“ klingt. So gibt es zum Beispiel Wörter, die in der französischen Sprache existieren, die aber nicht in Frankreich, sondern nur in Kanada gebräuchlich sind. In Kanada kann man zum Beispiel „magasiner“ sagen, was „einkaufen gehen“ bedeutet. Aber wenn man in Frankreich „magasiner“ für „shopping“ verwendet, wird niemand verstehen was gemeint ist.

Das Ziel einer Übersetzung ist es, einen möglichst natürlichen Text zu produzieren, der so wirkt, als wäre er in der Zielsprache geschrieben worden. Aber wer letztlich darüber urteilt, ob Anglizismen übersetzt werden oder nicht, ist laut Aussagen von professionellen Übersetzern der Kunde: Er entscheidet, welche Regel gilt und wie die Übersetzer mit Anglizismen umgehen sollen.

Ist „Denglisch“ die neue offizielle Sprache Deutschlands?

Wer die Gelegenheit hat, sich sowohl in einem französischsprachigen als auch in einem deutschsprachigen Umfeld zu bewegen, kann feststellen, dass Anglizismen im Französischen zwar weit verbreitet sind, in Deutschland aber Gespräche (vor allem unter Jugendlichen), Fernsehsendungen und Zeitungsartikel davon durchsetzt sind. Für jemanden, der Deutsch spricht und liest, für den es aber nicht die eigene Muttersprache ist, kann das manchmal verwirrend sein. Es ist zu vermuten, dass Deutsche eher als Franzosen bereit sind, Wörter fremder Herkunft zu akzeptieren.

Nicht selten findet man deutsche Texte, in denen pro Satz mindestens ein Anglizismus vorkommt, wenn nicht sogar mehr. Für einen Nicht-Muttersprachler ist es eine echte Gehirngymnastik, die beiden Fremdsprachen gleichzeitig zu entschlüsseln. Und wenn es darum geht, zwei verschiedene Fremdsprachen vorzulesen oder auszusprechen, ist es nicht mehr nur eine Gehirngymnastik, sondern auch eine Gymnastik für die Gesichtsmuskulatur. Aber so ist es nun einmal: die Deutschen stehen der Invasion der Anglizismen nicht so ablehnend gegenüber wie die Franzosen.

Natürlich stellt sich die Frage, inwieweit man sie akzeptieren muss und ob sie die Sprache bereichern oder im Gegenteil zu ihrem Niedergang beitragen. Auch hier sind die Deutschen weit weniger kritisch als die Franzosen. Es gibt eine Reihe von Kritikern, die für das Prinzip „Alles auf Deutsch“ plädieren, aber der Trend geht eher zu einer intensiven Verwendung von Anglizismen. Vielleicht liegt das an der starken historischen Verbindung zwischen Deutschland und den USA?

Was die Übersetzung betrifft, so gilt in Deutschland höchstwahrscheinlich die gleiche Regel wie in Frankreich: Der Kunde entscheidet, ob er Anglizismen beibehalten will oder sie ins Deutsche übersetzen lässt. Auch hier gilt: Ob Anglizismen verwendet werden oder nicht, hängt von der Zielgruppe, der Art des Textes, dem Thema und vielleicht sogar dem verwendeten Medium ab. Der Übersetzer hat letztlich keine sehr große Freiheit, die Übersetzung muss dem Kunden und der Zielgruppe gefallen. Aber eines ist sicher: Im Allgemeinen wird das deutsche Publikum in Bezug auf Anglizismen weniger pingelig sein als das französische.

Lucie Otto


Laisser un commentaire